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Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Buß- und Bettag 2021
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Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Buß- und Bettag 2021

Predigt vom 17.11.21 (Pfarrer Bohne) Ort: Kirche Großstädteln

Lesung Evangelium bei Matthäus 7, 12-20:

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten. Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden!
Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

 Liebe Gemeinde!

Auf einer Karikatur stehen fünf Leute mittleren Alters. Drei stehen näher zusammen, zwei stehen etwas daneben. Die Situation zeigt einen Sekt-Empfang. Einer von den Dreien sagt zu den beiden „Christ?!… Ach, interessant. Und was macht man da so?“
Das Erstaunen ist den beiden Gefragten auf der Karikatur ins Gesicht geschrieben.
In manchen Gegenden grade im Osten Deutschlands sind Christen inzwischen rar gesät, dass es tatsächlich passieren kann, so gefagt zu werden von Leuten, die es ziemlich exotisch finden, dass andere „Christen“ sind.
Was macht man so, als Christ? Die Frage macht mich stutzig. Was mache ich denn,  als Christ? Beim Elternabend für Konfirmanden sagen Mütter und Väter manchmal, was sie erwarten: Dass ihre Sprösslinge die 10 Gebote lernen. Dass sie wissen, warum wir welche Feste im Jahr wie feiern.
Was macht man so, als Christ? Engagierte in unseren Gemeinden würden sagen: Auf die Umwelt achten. Nachhaltig einkaufen. Ökopapier nutzen. Zum Gemeindefest auf Plastik verzichten. Und keine Lebensmittel wegschmeißen. So die Erde bewahren.
Was macht man so, als Christ? Sonntags in den Gottesdienst gehen. Sich in Gruppen engagieren, als Kirchvorsteherinnen, im Pfarrgemeinderat, im Chor und im Besuchsdienst…
Oder sollen Christen eher im Privaten bleiben? Auch das höre ich seit 4, 5 Jahren öfter. Sich um die Alten kümmern, Diakonie, das ist o.k. Politisch werden aber bitte nicht. Da soll Kirche den Mund halten. Wenn du betest, geh in dein Kämmerlein…
Was macht man so, als Christ? Seit dem ersten Jahrhundert, als der Glaube an einen auferstandenen Gekreuzigten von ein paar hundert Jesusgläubigen Juden auch auf syrische, griechische und römische Menschen übersprang, nennen wir uns so: „Christianoi“.
Geht man der Bezeichnung auf den Grund, ist sie ein Hinweis auf eine Beziehung. Wir heißen so, weil wir zu Christus gehören. Natürlich sollen wir uns angemessen, „christlich“ verhalten. Nicht mit dem, was wir tun, das herabwürdigen, was wir hoffen und glauben. Aber was uns ausmacht, das machen nicht wir. Und wir „machen“ es auch nicht. Es wird uns geschenkt. Von dem, nach dem wir uns nennen. Wir sind von Christus in diese Beziehung hineingerufen, hineingestellt.
Christus macht etwas aus uns: aus dahergelaufenen wildfremden Leuten:  Geschwister. Aus Angsthasen und Feiglingen: Jünger und Apostel. Aus schuld-beladenen Typen: das Bodenpersonal für sein himmlisches Reich.
„Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, dass tut ihr ihnen auch.“, sagt Jesus im Predigtwort zu seinen Jüngern. Was sollen uns die Leute tun?
Jesus weiß, wonach sich Menschen sehnen: Nach Angenommen werden. Liebe empfangen. Angesehen werden mit barmherzigen Blick, statt Vorwurf, dem Maßstab immerwährenden Nicht-Genügens. Das wollen die Leute, dass andere ihnen tun sollen...
Und damit das nicht leere Hülse, nicht Traum und Schaum bleibt, schenkt ihnen Jesus diese Liebe, solches Angenommensein. Diesen barmherzigen Blick wie für einen Bruder, eine Schwester. Du bist schon wer! Vor mir musst du dich nicht beweisen. Du bist Gottes Kind. Und er traut es den Seinen, die das erfahren haben, die ihm glauben und vertrauen, zu, es an die Nächsten weiterzuschenken. Es geht durch sie hindurch, ohne sich zu verzehren.
Liebe, Barmherzigkeit, Annehmen und Wertschätzen, das gehört – im Gegensatz zum Geld – zu den wenigen Gütern, die sich tatsächlich selbst vermehren können, ohne anderen zu schaden, wenn man sie lässt. Wenn man Gott und Christus und den Heiligen Geist nur lässt. Aber „machen“, aus sich selber so was machen, das können auch Christen nicht. Sie bleiben gewiesen auf Christus, ihren Herrn, der in und an ihnen wirkt.
Und bei Christus zu bleiben ist ein hartes Geschäft. Es ist ein schmaler Grat, oder im Bild des Evangeliums, eine sehr enge Tür. Vielleicht haben Sie ja zu Hause irgendwo  eine Tür, die nicht so breit ist wie die anderen. Zu einer Kammer, einem Schuppen, auf die Veranda.
Manchmal im Urlaubsquartier war da eine Tür, die wich vom Standardmaß 80, 90 cm ab. Die war vielleicht nur 70, 60…  Wer breite Türen gewohnt ist, dem fällt das regelrecht auf.  Wenn ich da durch will, mit Dingen in der Hand, einem Staubsauger, einem Tablett, muss ich die Gedanken zusammen nehmen, oder es geht schief…Die Türen in Eisenbahnwagons der Reichsbahn in der alten DDR, die waren auch sehr schmal. Da war es gar nicht so leicht, mit Gepäck hinein zu kommen.
Das Ringen um den Schutz des Klimas, die Bewahrung der Schöpfung trifft sich mit dem Bildwort Jesu vom schmalen Weg, der ins Leben führt. Mit der schmalen Pforte, von der es manchmal heißt, das sei die Tür zu unserer Zukunft.
Vom schmalen Grat, auf dem wir gehen und von wirtschaftlichen Wachstum faseln, reden Biologen, Wetterexperten und Leute, die mathematische Kurven lesen können, seit Jahren. Ein Absturz ist wahrscheinlicher als ausgeschlossen.
Wollen wir ihn gehen, wollen wir die schmale Tür zur Zukunft durchschreiten, können wir nicht alles Gepäck mitnehmen, das wir gewohnt sind. Es wird sein wie bei der Reichsbahn früher: Da hast du überlegt, wie groß Tasche und Koffer sind, und was da rein passt, wenn du mit dem Zug in Urlaub willst. Überflüssiges, auch Geliebtes, blieb zurück.
Für unser Raumschiff Erde träumen wir allerdings noch immer, die Zukunft sei breit wie eine Toreinfahrt zum Ferienhaus, für den Zweitwagen, mit Surfbrett und Extra-Buggy auf dem Dach.
Wie erfrischend das Interview mit Richard Powers letzten Sonntag, spät abends in  TTT (Titel Tesen Temperamente)! Powers ist Schriftsteller, Pulitzer-prämiert, und schreibt sensible philosophische Romane über die Zukunft der Wälder, der Tiere. Die Frage, ob er glaubt, dass wir es schaffen: das 1,5-Grad-Ziel, den Schutz der Wälder und der Arten, sagt er ein klares Nein. Jedenfalls nicht so, wie wir es angehen wollen. Mit Forschung und Wirtschaft so viel Überschuss produzieren, dass wir damit den Ausstieg bezahlen… Was für ein großer Unsinn.
Am Anfang muss die Frage nach dem Sinn stehen. Warum tun wir, was wir da tun? Was erfüllt uns? Was ist unser Ziel? Wo wollen wir hin?, das ist auch die Frage der Katze an Alice im Wunderland...
Wenn wir alles behalten und mitnehmen wollen, was wir jetzt haben, am Ende gar noch mehr als jetzt, und auch noch für alle auf der Erde, werden wir scheitern. Dann lebt die Schöpfung weiter, aber ohne uns.
Aufgeben, Verzicht, Zurücklassen – was das heißt und wie es aussehen kann, gilt es dringend zu diskutieren. Das sind die Debatten, die zu führen sind. Wie wollen wir zusammenleben? Was soll da gelten? Welche Werte sollen uns bestimmen? Die Antworten werden jenseits von Besitz und Haben liegen. Doch in der Nähe von Liebe und Annahme, Wertschätzung und Barmherzigkeit.
Als Christen haben wir das alles schon so viele Male gehört. Von Christus. Wir sollten darin Experten sein, anderen zu helfen, die Kurve zu kriegen. Die Geschichte der Kirche ist gefüllt mit bewährten Mustern zum Thema. Die Übung des Verzichts, um anderer willen, und für uns selbst. Das Aufgeben und Zurücklassen an Scheidewegen unserer Biographie. Der weise Rhythmus des Enthaltens und des überfließenden Festes. Das rechte Maß.
Meine Großmutter führte ein schlichtes frommes Leben und wurde 92 Jahre alt. Jahre voll Glück und voll Leid. Von ihren Urlauben hat sie oft erzählt. Es waren 2 oder 3. Die Ostsee und die sächsische Schweiz. Den Braten aß sie sonntags, am Montag den Rest. Gemüse wuchs im Garten, der Schatz ihrer freien Zeit. Sie kochte selbst. Das war preiswert, nachhaltig und gut. Von der spärlichen Rente gab sie uns Enkeln reichlich und gern. Mit warmer Hand, wie sie sagte. Weil sie wusste, dass das letzte Hemd keine Taschen hat...
Es war doch alles schon mal da! Es war nicht Hunger, Mangel oder Krieg. Es waren glückliche Jahre. Ein Bescheiden auf das Wichtige, aufs Miteinander.  Auf das, was zählt. Können wir Christen das selber wieder lernen, es einüben und zeigen, dass es geht? Und andere einladen, es mit uns gemeinsam zu tun?
Ein Menschenrecht auf dreimal Urlaub im Jahr, auch noch in die Südsee, kann ich nirgends entdecken. Auch kein Recht auf den Zweitwagen. Auch ein Recht auf Boulette und Schnitzel zum zweiten Frühstück, aufs Dessert zum Aufreißen und Reinbeißen kann ich nicht sehen. Wohl aber das Recht auf Überleben, auf Unversehrtheit und ein Dach über dem Kopf, und zwar für alle, nicht bloß für uns reiche Europäer… Wer  nimmt da eigentlich wem etwas weg?
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, sagt Jesus. Nicht nur die guten und die falschen Propheten, auch die Christen. Jene bunte Schaar, die ihrem Herrn und Heiland folgt. Sie soll eine Einladung sein für die Welt. Leute sollen Appetit bekommen, es mit Gott zu probieren. Wie es ist, wenn sein Reich beginnt.
Die Monate der Pandemie haben schweren Schaden gebracht. Wir sehen Risse, von denen ich aber denke, dass sie schon vorher da waren. Jetzt sieht man sie klarer. Auch in der Herde, die sich Gemeinde nennt. Die Spaltung geht tief, was zu tun und was zu lassen ist. Menschen gehen sich nach dem Streit aus dem Weg, kommen nicht mehr zu Gruppen und Kreisen, ziehen sich zurück, weil andere anderer Meinung sind als sie selbst.
Misstrauen gegen „die da oben“ wird gesät. Die Grundhaltung, zunächst – bis zum Beweis des Gegenteils – jedem Menschen, auch den Regierenden, Gutes zuzutrauen, sie beim Wort zu nehmen, Schaden vom Volk abzuwehren, ist weitgehend kaputt. Das ist schon erstaunlich! Denn in der Geschichte der Kirche bis vor wenigen Jahrzehnten wurde sonst für „die da oben“ gebetet. Denn auch sie stehen ja einmal vor Gott, genau so wie wir.
Ich rede gewiss keinem autoritärem Staat das Wort. Wo hätten wir den in unserem Land?!  Doch was ist aus den Tugenden der Demut, des Hinnehmens, des Sich-Fügens, des Annehmens von Leid in unseren Gemeinden geworden? Haben Petrus und Paulus und so viele Zeugen des Glaubens es uns nicht vorgelebt? Franziskus und Martin Luther King. Pater Maximilian Kolbe und die Geschwister der Weißen Rose. Eintreten für andere kann und wird etwas kosten. Meinen Mut und meine Kraft. Meine ganze Hoffnung. Machmal meine Gesundheit und – manchmal auch – das Leben.
Wie schmerzt es da, wenn ich als Gemeindeleiter von einer Mitarbeitenden höre: Ich lass mich nicht impfen. Wer fragt denn nach mir, meiner Gesundheit, meiner Zukunft? Wenn nun bei mir was zurückbleibt?! Nein nein nein. Ich Ich Ich...
Und stellt sich im Gemeinde-Kindergarten vor die Schwächsten, die uns Schutz-befohlenen, die sich nicht schützen können.
Eltern, auch Gemeidneglieder, bringen ihre Kinder an den zwei Tagen, wo der Spuck-Test gemacht wird, nicht zur Einrichtung. Aber am Tag zuvor und danach. Weil sie gar nicht wissen wollen, ob ihr Kind positiv ist. Damit keiner ihre Kreise stört, für 5 bis 14 Tage…
Was ist los mit uns als Kirche, die einen Herrn hat, der sich selber nicht schonte, der Leid und Schmerz eingesteckt hat für uns? Auf den man mit weit mehr eingestochen hat als mit einer Nadel im Mykrometer-Bereich…
„Christ?!  .. Ach, wie interessant. Und was macht man da so?“
Bußtag. Das wäre auch was. Das machen Christen da so. Einmal im Jahr stellen sie sich den Schwachstellen im Miteinander. Sprechen sie aus. Und um darüber nicht zu verzweifeln, bringen sie es Gott. Bitten um Vergebung und um neue Kraft. Um es anzugehen, was im Argen liegt. Nur zwei größere Baustellen habe ich benannt.
Verantwortung annehmen. Nicht bloß im Privaten, auch in der Gesellschaft, das steht an. Denn die Gesellschaft braucht uns wie das Salz in der Suppe. Die Fehlstellen der Gerechtigkeit und Liebe müssen nicht leer bleiben. Wir sprechen sie an. Nicht wohlfeil, nicht besserwisserisch und selbstgerecht. Sondern als gebrannte Kinder. Wir sind drin im Geschehen. Im Versagen und auch in den Auswegen und Lösungen, die wir mit andern Menschen suchen wollen, und auch müssen.  Amen.

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Pfarrer Frank Bohne
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